Perfektionismus: Wenn er zur Belastung wird
- Katharina Hiller
- 27. Feb.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 24. Apr.
Oft ist er die Antwort auf die heute etwas in die Jahre gekommene Bewerbungsfrage: „Was ist Deine größte Schwäche?“ – „Mein Perfektionismus.“ Aber was sagt das eigentlich aus über einen Menschen?
Der Wunsch danach, sich selbst zu verbessern, ist Teil des menschlichen Wesens und ein wichtiger Treiber für Entwicklungen und Innovationen. Während Perfektionismus oft als positive Eigenschaft gesehen wird, die zu höchster Qualität, Exzellenz und großen Leistungen führen kann, ist er für viele Menschen auch eine zentrale Ursache für Stress, Selbstzweifel und sogar psychische Erkrankungen. Der Sozialpsychologe Thomas Curran fand durch eine internationale Studie heraus, dass Perfektionismus insbesondere unter jungen Menschen heute stärker verbreitet als in der Vergangenheit (▷Quelle). In unserer leistungsorientierten Gesellschaft wird Perfektionismus häufig als erstrebenswert dargestellt, doch was passiert, wenn der Drang zur Perfektion überhandnimmt? Wann wird Perfektionismus problematisch, und wie beeinflusst er unsere psychische Gesundheit, unser Lernen und unsere Lebensqualität?
In diesem Artikel lernst Du die Unterschiede kennen zwischen funktionalem und dysfunktionalem Perfektionismus, welche Auswirkungen schädlicher Perfektionismus auf das Gehirn hat, wie er Lernerfahrungen beeinflusst und welche ersten Schritte helfen können, um problematischen Perfektionismus zu überwinden.

Wie zeigt sich dysfunktionaler Perfektionismus?
Nicht jeder Perfektionismus ist gleich problematisch. Psycholog*innen unterscheiden zwischen einem gesunden, adaptiven Perfektionismus und einem dysfunktionalen, maladaptiven Perfektionismus.
Gesunder Perfektionismus hilft Menschen, ehrgeizige, aber realistische Ziele zu setzen und sich kontinuierlich zu verbessern.
Schädlicher Perfektionismus hingegen zeichnet sich durch extrem hohe Erwartungen, Angst vor Fehlern und starke Selbstkritik aus. Betroffene setzen sich unrealistisch hohe Standards und können es kaum ertragen, Fehler zu machen oder Kritik zu erhalten. Schnell fühlen sich Betroffene als hätten sie total versagt, wenn sie einen Fehler machen. Dies führt oft zu Stress, Selbstzweifeln und Prokrastination, da sie Angst haben, ihren eigenen Erwartungen nicht gerecht zu werden. Oft neigen perfektionistische Menschen dazu, Erfolge nicht zu genießen, sondern sich sofort dem nächsten Ziel zuzuwenden. Perfektionismus wird dann selbstschädigend, wenn Betroffene sogar an ihrem Perfektionsdrang festhalten, wenn mehr oder weniger die gesamte Existenz auf dem Spiel steht. Dieses Verhalten kann zu chronischem Stress und einem verminderten Selbstwertgefühl führen. Zudem kann der Drang nach Perfektion soziale Beziehungen belasten. Perfektionist*innen haben oft hohe Erwartungen – nicht nur an sich selbst, sondern auch an andere. Das kann zu Konflikten und Isolation führen. Die Angst vor Ablehnung oder Kritik kann dazu führen, dass wir soziale Situationen meiden, was wiederum das Gefühl der Einsamkeit verstärkt.
Die Forschung kommt überwiegend zu dem Ergebnis, dass das Streben nach Zielen und persönlichen Standards an sich nicht problematisch ist. Im Gegenteil: Realistische und erreichbare Ziele können Motivation und Zufriedenheit fördern. Problematisch wird es jedoch, wenn die Ziele unerreichbar sind und das eigene Selbstwertgefühl ausschließlich von deren Erreichung abhängt. In solchen Fällen kann der Perfektionismus zu einer erheblichen psychischen Belastung werden.
Was passiert im Gehirn, wenn wir zu perfektionistisch sind?
Eine Meta-Studie von kanadischen Psychologen Gordon Flett und Paul Hewitt zeigt, dass insbesondere sozialer Perfektionismus eng mit Angststörungen, Depressionen und einem erhöhten Stresserleben korreliert. (▷Quelle) Sozialer Perfektionismus basiert auf der Angst, in den Augen anderer zu versagen. Diese Form des Perfektionismus kann zu einem erhöhten Risiko für Burnout, Burn On und andere psychische Erkrankungen führen.
Neurowissenschaftlich betrachtet steht übertriebener Perfektionismus mit einer Überaktivierung der Amygdala in Verbindung – dem Teil des Gehirns, der für Angstreaktionen zuständig ist. Studien zeigen, dass Perfektionist*innen eine erhöhte Aktivität in diesem Bereich aufweisen, was ihre Sensibilität für Fehler und Kritik verstärkt. Gleichzeitig ist der präfrontale Kortex, der für rationale Entscheidungen und Emotionsregulation verantwortlich ist, oft überlastet. Diese Kombination führt dazu, dass negative Gedanken schwerer losgelassen werden können.
Zusätzlich spielt das Belohnungssystem eine Rolle: Perfektionist*innen erleben durch das Streben nach Fehlervermeidung weniger Dopaminausschüttung, was ihre Motivation beeinträchtigen kann. Es handelt sich dabei nämlich um eine Vermeidungsmotivation und nicht um eine Annäherungsmotivation. Dadurch entsteht ein Teufelskreis aus hoher Erwartung, Angst und unzureichender Belohnung für erbrachte Leistungen.
Wie wirkt sich übertriebener Perfektionismus auf Lernerfahrungen aus?
Dysfunktionaler Perfektionismus kann sich auch auf Lern- und Entwicklungsprozesse ungünstig auswirken und die eigenen Leistungen sogar verschlechtern.
Angst vor Fehlern: Fehler sind ein zentraler Bestandteil des Lernens. Wer Angst vor Fehlern hat, wagt sich oft nicht an neue Herausforderungen oder versucht, Risiken zu vermeiden.
Mangelnde Kreativität: Kreativität lebt von Experimenten und Unvollkommenheit. Wenn wir zu perfektionistisch sind, tun wir uns schwer, unkonventionelle Wege zu gehen oder neue Lösungsansätze auszuprobieren.
Vermeidungsverhalten: Anstatt uns in neue Themen einzuarbeiten, neigen wir als Perfektionist*innen dazu, uns zu verzetteln oder zu lange an unwichtigen Details festzuhalten.
Geringere Frustrationstoleranz: Perfektionismus kann dazu führen, dass wir bei Misserfolgen schneller aufgeben, weil wir diese als Bestätigung ihrer eigenen Unzulänglichkeit sehen.
Erste Schritte zur Überwindung von problematischem Perfektionismus
Die Überwindung von schädlichem Perfektionismus beginnt mit der Selbstreflexion. Es ist wichtig, die eigenen unrealistischen Standards zu erkennen und zu hinterfragen. Das Setzen realistischer und erreichbarer Ziele kann helfen, den inneren Druck zu reduzieren.
Ein weiterer Schritt besteht darin, die eigene Fehlertoleranz zu erhöhen. Fehler sollten als Lernchancen betrachtet werden, nicht als persönliche Misserfolge. Es kann eine sinnvolle Übung sein, bestimmte Aufgaben auch mal vorsätzlich ein bisschen schlechter zu erledigen und sich damit zufrieden zu geben. Vielleicht kann der Putzplan auch mal ausgesetzt werden oder der Geburtstagskuchen etwas weniger aufwändig werden.
Fazit
Perfektionismus ist nicht per se negativ. Ein gesundes Maß an Perfektionsstreben kann zu persönlichen Erfolgen und Zufriedenheit führen. Problematisch wird es jedoch, wenn der Drang nach Perfektion das eigene Wohlbefinden und die Lebensqualität beeinträchtigt. Durch Selbstreflexion, das Setzen realistischer Ziele und die Akzeptanz von Fehlern als Teil des Lernprozesses kann schädlicher Perfektionismus überwunden werden. Laufen lernt man eben nur, wenn man auch mal hinfällt. Und vielleicht ist es für etwas mehr Brain Wellness durchaus auch erstrebenswert, manche Dinge absichtlich lieber ein bisschen unperfekt zu erledigen.
▷ Du benötigst mentale Unterstützung, um dysfunktionalen Perfektionismus abzulegen?
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Wichtiges Thema, danke für den Beitrag ;)