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Burn On: Chronisch fast ausgebrannt

Aktualisiert: 16. Mai

Noch den nächsten Umzug, das nächste Projekt und die nächste Abgabe. Dann endlich können wir entspannen und uns die lang ersehnte Ruhe gönnen. Wer kennt diesen Gedanken nicht, dass alles endlich besser wird, wenn wir den nächsten Punkt auf unserer endlos langen To-Do-Liste auch noch abgehakt haben? Besonders problematisch wird es, wenn wir diesen Zustand über viele Jahre hinweg aufrechterhalten und wir statt einem Burn Out einen Burn On erleben: Durchhalten trotz dauerhafter Überschreitung der eigenen Belastungsgrenzen.


Der Begriff Burn On ist noch relativ neu in der Diskussion und wurde von Dr. Bert te Wildt und Timo Schiele in den Umlauf gebracht. (▷Quelle) Die beiden Autoren des Buchs „Burn On – Immer kurz vorm Burn Out“ leiten gemeinsam eine psychosomatische Klinik im Kloster Dießen. Im Laufe ihrer Arbeit dort stellten sie fest, dass krankhafte Erschöpfung nicht unbedingt mit einem dramatischen Zusammenbruch einhergehen muss wie im Falle eines Burn Outs. Die Beobachtungen von Wildt und Schiele aus ihrem klinischen Alltag zeigen, dass wir in einem Umfeld leben, das einen Zustand zwischen Motivation, Dauerstress und Erschöpfung begünstigt. Die Herausforderung jedoch ist es, einen Burn On zu erkennen. Denn oft erleben Betroffene einen Zustand des Burn Ons unbemerkt über viele Jahre hinweg und riskieren damit verheerende gesundheitliche Folgen.


Dieser Artikel erklärt, worum es sich bei einem Burn On handelt, welche gesundheitlichen Folgen ein Burn On mit sich bringen kann und woran man einen krankhaften Zustand zwischen chronischer Anspannung und Erschöpfung erkennen kann. Außerdem gehen wir der Frage auf den Grund, welche Zusammenhänge zwischen Burn On und Lern- und Entwicklungserfahrungen bestehen und welche ersten Schritte wir in Richtung Prävention gehen können. Denn eines wird durch die Berichte von Wildt und Schiele klar: Wir sind alle betroffen von einem Risiko, am Burn On zu erkranken.


Brennende Streichhölzer als Sinnbild für das chronische Burn-On-Syndrom.

Burn On: Was ist das?

Man kann sich den Burn On bildlich so vorstellen, dass man sich in einem schmerzhaften Spagat zwischen zwei Polen befindet und das über einem gefährlichen Abgrund. Während man im Falle eines Burn Outs irgendwann abstürzen würde, lässt sich der Spagat im Falle eines Burn On beängstigend lange aufrechterhalten. In diesem Dauerzustand schwanken wir also hin und her zwischen ganz gegensätzlichen Polen:


  1. Auf der Verhaltensebene schwanken wir zwischen Hyperaktivität und Lähmung.

  2. Auf kognitiver Ebene befinden wir uns zwischen Perfektionismus und Unzulänglichkeitserleben.

  3. Und auf der Gefühlsebene erhalten wir uns einen Zustand zwischen angestrengtem Optimismus und matter Freudlosigkeit.


Wenn wir sinnbildlich bei dem Spagat zwischen den beiden Polen bleiben, schlägt sich die daraus resultierende Anspannung der Muskeln natürlich auch auf den Körper nieder. Die verkrampfte Haltung macht Entspannung zunehmend unmöglich. Darüber hinaus ist die ständige Anspannung der Grund, weshalb es überhaupt erst möglich wird, den Zustand des Burn On so gefährlich lange auszuhalten.


Der schmerzhafte Spagat zwischen den gegensätzlichen Polen beim Burn On.

Welche gesundheitlichen Folgen bringt ein Burn On mit sich?


Die gesundheitlichen Folgen eines Burn On sind erschreckend vielfältig.


  • Ein andauernder Zustand von Anspannung bringt eine grundsätzlich höhere Angreifbarkeit des körpereigenen Immunsystems mit sich.

  • Zudem sind irreversible Verhärtungen der Muskeln, chronische Verspannung und Verschiebungen der Körperstatik eine laut Wildt und Schiele häufige Begleiterscheinung. Daraus können unter anderem Bandscheibenvorfälle entstehen.

  • Auch eine Tendenz zu Bluthochdruck ist deutlich wahrscheinlicher und ist die Basis für daraus folgende Herz- und Hirninfarkte.

  • Wildt und Schiele berichten davon, dass ein Großteil ihrer Burn-On-Patient*innen depressive Symptome aufweist.

  • Auch Angsterkrankungen und Süchte (z.B. stoffgebundene Süchte oder Workaholism) sind eine häufige Begleiterscheinung des Burn-On-Syndroms.

  • Zuletzt sind auch Herzmuskel-Entzündungen eine mögliche Folge der chronischen Erschöpfungsdepression.


Im Gegensatz zum Burn On beinhaltet ein Burn Out wenigstens einen Weckruf durch den Totalzusammenbruch am Ende. Dadurch erhält man immerhin ein nicht zu überhörendes Signal vom eigenen System. Ein Burn On hingegen ist durch seine schleichende Entwicklung und die zunehmende Gewöhnung an den Zustand des Ausgebrannt-Seins deutlich schwerer zu erkennen und Betroffene überdauern diesen Zustand über einen erschreckend langen Zeitraum.


Woran erkennt man einen Burn On?


Ein Burn On ist laut Wildt und Schiele nicht selten verdeckt von einer grundsätzlich positiven Haltung. Das macht es dann eben oft auch so schwer, einen Burn On zu erkennen.


Als Betroffene fühlen wir uns nicht unbedingt wirklich schlecht, aber auch nicht wirklich gut. Wir haben ein scheinbar funktionierendes Leben und halten unsere beruflichen Pflichten überwiegend ein. Meistens sind wir beruflich zu 100% bei der Sache. Doch wofür wir dabei blind werden, ist, dass wir am Leben vorbei arbeiten. Lange erleben wir unsere Arbeit als sinnvoll und erfüllend. Und genau das trägt dazu bei, dass wir unsere tiefgreifende Erschöpfung nachhaltig verdrängen können. Trotzdem verfolgt uns leise das ständige Gefühl, zu wenig intensiv zu arbeiten.


Unser Privatleben hingegen ist geprägt von Prokrastination. So gut wie alles fühlt sich an wie eine Verpflichtung und ein permanentes Schuldgefühl schleicht sich in unsere Gedankenwelt.


Burn On und Lern- & Entwicklungserfahrungen: Psychologische Hintergründe


Grundsätzlich sind wir beim Lernen grob gesagt von zwei Dingen angetrieben: Wir wollen 1. entweder kurzfristig angenehm empfundene Zustände erreichen bzw. behalten oder wollen 2. Bestrafung vermeiden.


  1. So führen bspw. Geldprämien für gute Noten oder für gute Arbeitsleistung laut Forschung nur kurzfristig zu einer Motivation. Die Gefahr besteht, dass wir am Ende nur noch auf das Ergebnis hinarbeiten und das echte Interesse an den Inhalten – unsere intrinsische Motivation – verlieren.

  2. Im Falle der Bestrafung ist das Ergebnis nicht überraschend noch gravierender: Wir fangen an, vermeidungsmotiviert zu lernen und handeln aus der Angst heraus, als Versager*in zu gelten.


Wer also bereits in der Kindheit vor allem bei guter Leistung Anerkennung in Form von einem Lob oder einer Umarmung von seinen Eltern erfahren hat, ist also prädestiniert dafür, bereits in jungen Jahren innere Überzeugungen zu entwickeln wie „Ich bin nur etwas wert, wenn ich gute Leistungen bringe.“. Diese Überzeugungen manifestieren sich im Laufe des Lebens im Gehirn oft unbewusst bis ins hohe Erwachsenenalter. Und obwohl uns diese inneren Überzeugungen vielleicht nicht im aktiven Bewusstsein begegnen, wirken sie oft als unbewusste antreibende Kraft für viele unserer Verhaltensweisen im fortgeschrittenen Alter. Somit sind sie oft auch eine Triebkraft für die Aufrechterhaltung eines Burn-On-Syndroms.


Erste Schritte zur Prävention eines Burn On



Um Burn On vorzubeugen, braucht es ein etwas intensiveres Programm als ein paar Schritte. Dennoch ist es sinnvoll, mit den ersten Schritten zu beginnen, um sich in die richtige Richtung zu bewegen. Wichtig ist jedoch, diese nicht generalstabsmäßig durchzuexerzieren, sondern mit einer ruhigen Haltung sämtliches Perfektionsstreben loszulassen. Das ist einfacher gesagt als getan, aber wichtig. Denn bei der Prävention geht es um einen Ausgleich zur chronischen Anspannung.


  1. Bewusstsein für Burn-On-Symptome entwickeln: Die Grundlage für die Prävention ist es, möglichst viel über das unerkannte Leiden zu erfahren. Besonders weil es oft so lange unbemerkt bleibt, ist dieser Schritt umso wichtiger.


  2. Achtsam durch die Welt gehen: Auch wenn wir das Wort Achtsamkeit womöglich langsam nicht mehr hören können, benötigen wir sie, um an unseren eigenen Bedürfnissen anzuknüpfen und auf eigene Burn-On-typische Anzeichen überhaupt erst aufmerksam zu werden und dann einzulenken. Um Achtsamkeit zu schulen, ist es wichtig, bewusst zu sein im gegenwärtigen Moment und das, ohne zu urteilen. ▷ Eine Trainingsmöglichkeit kann also z.B. sein, eine Mahlzeit mit allen fünf Sinnen zu genießen. Oft schlingen wir unser Mittagessen in uns hinein, sitzen währenddessen vor einem unserer zahlreichen digitalen Geräte oder denken über irgendeine anstehende oder vergangene Aufgabe nach. Das hat mit Achtsamkeit nichts zu tun. Eine Mahlzeit achtsam zu genießen bedeutet, die Farben und Formen der einzelnen Zutaten zu inspizieren, die unterschiedlichen Konsistenzen der Komponenten im Mund zu spüren, die eigenen Essgeräusche wahrzunehmen, etc. Wahre Achtsamkeit erfordert jahrelange Übung. Jon Kabat-Zinn ist der wohl bekannteste Achtsamkeits-Forscher und sein Programm der Achtsamkeits-basierten Kognitiven Therapie zur Prävention und zur Rückfall-Prophylaxe depressiver Episoden ist wissenschaftlich mittlerweile vielfach belegt.


  3. Ausgleich in regelmäßigen, kurzen Arbeitspausen: Pausen von der Arbeit sind besonders dann erholsam, wenn sie sich inhaltlich von der Arbeitszeit davor und danach möglichst unterscheiden. Wenn sich mein Arbeitsalltag also meistens vor dem PC abspielt, dann sollte die Pause darin bestehen, einen Spaziergang zu machen, den Körper zu bewegen, ein Bild zu malen, den Lieblingssong zu trällern, die Wäsche zu falten oder z.B. eine leckere Mahlzeit zuzubereiten. Erholsame Pausen ermöglichen es uns, nach der Arbeit nicht völlig platt in die Couch zu versinken.


  4. Eustress statt Distress: Wenn wir vor und nach der Arbeit dann also noch ein wenig Energie übrighaben, hilft es, ein Hobby auszuführen, das uns wirklich mit Begeisterung und Sinn erfüllt. Und auch hier macht es Sinn, dass dieses Hobby sich möglichst von unserem Arbeitsalltag unterscheidet. Begeisterung erfüllt uns nämlich mit Eustress, der einen gesunden Gegenpol zum Distress darstellt.


Fazit: Lernen, mit allen Sinnen hinzuhören


Über Jahre hinweg unbemerkt verglühen: Diese Vorstellung ist für niemanden attraktiv. Wenn wir einmal ehrlich auf uns selbst blicken und uns in unserem Umfeld umsehen, entdecken wir vermutlich viele Menschen mit Anzeichen von chronischer Erschöpfung.


In einer freien Marktwirtschaft konkurrieren wir mit Menschen und Unternehmen aus der ganzen Welt. Im Fernsehen konfrontieren wir uns mit Shows, bei denen in der Regel nur eine Person gewinnen kann. Die Digitalisierung ermöglicht es vielen von uns, dass wir zu jeder Zeit und von überall arbeiten. Zudem sind wir alle noch nachbelastet von den Zeiten der Pandemie, in denen viele Menschen einer Mehrfachbelastung ausgesetzt waren und Erholungspausen zunehmend weniger wurden. Das ist ein besonders fruchtbarer Nährboden für die Entwicklung des Burn On.


Für die Zukunft gilt es, das Burn-On-Syndrom weiterhin zu erforschen und zu beschreiben. Burn On ist manchmal die ewig andauernde Vorstufe eines Burn Outs und manchmal der Endzustand des Leidens. Was uns klar sein sollte, ist folgendes: Unsere Gesundheit ist eins unserer höchsten Güter und Therapieplätze sind rar. Wir sollten präventiv lernen, die Augen zu öffnen, um eigene Burn-On-Symptome in einem frühen Stadium zu erkennen und gegenzulenken.



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Zur Podcastfolge

3 comentarios

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Invitado
01 feb
Obtuvo 5 de 5 estrellas.

Wirklich spannend, da mir der Begriff bisher unbekannt war

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Invitado
12 dic 2024
Obtuvo 5 de 5 estrellas.

Dann hat das was ich erlebt habe, doch einen Namen :O

Vielen Dank für die Infos!

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Invitado
11 dic 2024
Obtuvo 5 de 5 estrellas.

Wichtiges Thema, aktueller denn je!

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